Wie Europas Wirtschaft zombifiziert wird
Eine Gastkolumne von Dr. Markus Krall, Managing Director von goetzpartners
Haben Sie schon mal einen faulen Apfel in eine Kiste mit frischen Äpfeln gelegt und darauf gehofft, dass die gesunden Äpfel den faulen mit ihrer Frische anstecken und so wieder essbar machen werden? Nein? Sollten Sie mal versuchen, das ist ein lehrreiches Experiment. Wenn es schiefgeht, wiederholen Sie es einfach solange bis es klappt und dann rufen Sie mich an. Der Nobelpreis wartet.
Diese Logik kommt Ihnen zu Recht absurd vor, jedenfalls nehme ich das an. Einstein sagte einmal, immer wieder das Gleiche zu tun und dann jedes Mal ein anderes Ergebnis zu erwarten, sei die Definition von Wahnsinn. Das trifft es.
Da fragt man sich doch, warum wir genau diese Logik in unserer Geld- und Wirtschaftspolitik anwenden mit dem bedauerlichen Ergebnis, dass der faule Apfel seine Fäulnis über die ganze Obstkiste ausbreiten kann. Denn genau so verfahren wir, indem wir die gescheiterte Politik der Verschuldung immer weiter fortsetzen und zu immer neuen Höhen treiben. Verschuldung und mit ihr die ungesunde Ausdehnung der Geldmenge zur Schaffung gigantischer Vermögenswertblasen lag der Krise 2007/08 zugrunde. Was war unsere Lösung, als es knallte? Mehr Verschuldung. Kann man sich eigentlich nicht ausdenken. Genau mein Humor.
Seit Ausbruch der Eurokrise 2009/10 hat die Europäische Zentralbank dieses Spiel mit neuen Volten, Varianten und Größenordnungen auf eine neue Spitze getrieben. In ihrem von Keynesianischer Wissensanmaßung getriebenen Glauben, alles „heilen“ zu können indem Sie mit immer niedrigeren Zinsen irgendwie die Investitionsnachfrage ankurbelt und so die Wirtschaft schneller wachsen könnte, als die Schulden hat Sie mit einem gigantischen Ankaufprogramm von Staatsanleihen den Zins, den wichtigsten Preis einer freien Marktwirtschaft, aus seiner Existenz herausmanipuliert.
Heute beträgt der Zins praktisch über die gesamte Laufzeit der Strukturkurve Null oder nahe Null.
Der makroökonomische Planungswahn hat aber nicht das Ergebnis gezeitigt, den man sich erhofft hatte. Das Wachstum bleibt anämisch, auch wenn die EZB die zwei Prozent, die wir letztes Jahr angeblich gesehen haben als Erfolg feiert. Zwei Prozent sind aber angesichts der digitalen Revolution, die uns einen Produktivitätsfortschritt von ca. 5% pro Jahr bescheren sollte, nachgerade lächerlich wenig. Berücksichtigt man den Umstand, dass auch die Beschäftigung um 2% gestiegen ist, so folgt ein Produktivitätswachstum von Null. Das ist bemerkenswert und die EZB kann das nicht erklären, sie kann es nur ignorieren, was sie dann auch prompt tut.
Es stellt sich die Frage, warum das passiert. Und die Antwort ist: Der Nullzins steuert eine immer größere Menge der investiv verfügbaren Mittel in schlechte Investitionen, genauso wie es die von Mises formulierte österreichische Konjunkturtheorie voraussagt. Ineffiziente, unproduktive, schlecht verwaltete Unternehmen müssen auf ihre unwirtschaftlichen Investitionen keine Kapitalkosten mehr verdienen. Damit „lohnen“ sich auch solche Investitionen, die man in einem normalen, nicht manipulierten Zinsumfeld nicht bei klarem Verstand tätigen würde.
Diese Unternehmen würden in einer vom marktwirtschaftlichen Ausleseprozess gesteuerten Welt von ihren Fehlentscheidungen in den Abgrund gerissen werden. Ihre Unfähigkeit, marktgerechte Kapitalkosten zu erwirtschaften würde den Konkurs nach sich ziehen. Dass das nicht mehr passiert, erkennt man an den seit Beginn der Krise 2007 kontinuierlich fallenden Ausfallraten von Unternehmen in Europa. Bewegten sich diese zuvor jahrzehntelang zyklisch um einen Korridor von 1,5 – 2%, sind sie mit Einführung stetig fallender, auf null und sogar unter null gedrückter Zinsen ebenfalls gefallen. Zurzeit beträgt die Ausfallrate nur noch ein halbes Prozent.
Summiert man die Differenz zwischen den Unternehmen, die in einem normalen Ausleseprozess hätten Pleite gehen sollen und denen, die das auch wirklich getroffen hat über diese 10 Jahre auf, so stellt man fest, dass sie sich mittlerweile auf gut 10% aller Unternehmen akkumuliert haben. Und weil der Nullzins auch die Kennzahlen der internen Ratings der Banken systematisch verzerrt, erkennen die Risikomesssysteme der Kreditinstitute diese Kandidaten nicht oder nur in ungenügender Weise. So gelingt es ihnen, fehlenden echten Cash-Flow mit immer mehr Krediten zu substituieren, die ihnen die ertragshungrigen Banken auch dankbar anbieten. Der Anteil dieser Unternehmen am Kreditvolumen der Banken dürfte daher überproportional hoch sein.
Ich nenne diese Unternehmen, die eigentlich tot sind, aber noch scheinbar lebendig ihre Kreditnachfrage entfalten, Zombies. Sie sind die faulen Äpfel, die die ganze Kiste unserer Marktwirtschaft anstecken. Die an sie ausgereichten Kredite sind im Falle einer Zinswende oder eines anderen gesamtwirtschaftlichen Belastungstests hochgradig ausfallgefährdet. Über kurz oder lang wird ihre Pleite nachgeholt werden. Die in ganz Europa daraus resultierenden Verluste aus einer Welle an Zombiepleiten dürften zwischen 1.000 und 1.500 Milliarden Euro liegen. Das entspricht dem Eigenkapital des Bankensystems. Um es zu rekapitalisieren, wenn man wartet bis der Unfall eintritt wird diese Summe aber nicht reichen. Die Erfahrung von 2008 hat gezeigt: Liegt das Kind erst mal im Brunnen braucht man die Zwei- bis Dreifache Summe, um das Vertrauen der Marktteilnehmer wiederherzustellen.
Damit aber nicht genug. Die jedes Jahr um 1 – 1,5% aller Unternehmen steigende Anzahl von Zombieunternehmen zerstört auch das Produktivitätswachstum. Sie sind ineffizient und unproduktiv, binden aber einen stetig steigenden Anteil an Kapital und Humankapital in diesen unsinnigen Verwendungen. Das ist die tiefere Ursache dafür, dass wir trotz digitaler Revolution kein gesamtwirtschaftliches Produktivitätswachstum mehr sehen.
Diese Unternehmen stehen zudem im Wettbewerb mit gesunden Unternehmen, deren Marktchancen und Profitabilität durch diese marktfremde, weil vom Nullzins subventionierte Konkurrenz beeinträchtigt werden. So werden gesunde Äpfel von den faulen Äpfeln angesteckt. Die Aufgabe der Schumpeter`schen kreativen Zerstörung ist es, die faulen Äpfel auszusortieren und so Ressourcen von schlechten in gute, produktive Verwendungen zu steuern. Das findet im Nullzins nicht mehr statt.
Diese Zerstörung der produktiven Basis infiziert über die Banken das Finanzsystem und über das EZB-Zahlungsverkehrssystem Target-2 die Bilanzen der am Eurosystem beteiligten Zentralbanken. In der Diskussion um die 1.000 Milliarden Euro Target-Salden der Bundesbank wird dieser entscheidende Aspekt meistens übergangen oder übersehen: Die Target-Kredite der Bundesbank an die EZB werden an Banken in Italien, Frankreich und Spanien ausgereicht, die diese Mittel auf der anderen Seite ihrer Bilanz in Form von Krediten ausreichen. Die Bilanzen der Banken sind also am Ende der Zahlungskette des Eurosystems die „Sicherheit“, die die prinzipielle Rückzahlbarkeit der Target-Salden sicherstellen soll. Sind diese Kredite aber nicht werthaltig, dann fußt die gesamte Kreditpyramide von den Unternehmen über die Banken zur nationalen Zentralbank und schließlich zur EZB auf dem leeren Versprechen nicht mehr gegebener Unternehmensbonität.
Das bedeutet, dass die vom manipulativen Nullzins zerstörte Bonität des Europäischen Unternehmenssektors über die Haftungskette zu ihrem Verursacher, der Zentralbank, zurückkehrt. Sie erschießt sich quasi von hinten durch die Brust ins linke Auge. Auch das muss man erst mal hinbekommen.
Das Virus des Nullzinses zombifiziert erst die Unternehmen, dann die Geschäftsbanken, dann die nationalen Zentralbanken des Eurosystems und schließlich die EZB selbst. Damit wird auch der Euro zum Zombie.
Die Planwirtschaft kann viele Formen annehmen. Das sowjetische Modell zerstörte Fortschritt und Produktivität durch Mikroplanung mit Gosplan. Das EZB-Modell zerstört Fortschritt und Produktivität durch eine neue Form der Planwirtschaft, bei der die Intervention der Bürokratie die Kreditvergabe fehlsteuert. Das Ergebnis wird das gleiche sein: Eine gesellschaftliche Zerrüttung epochalen Ausmaßes.
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